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Neue Gesch�ftsmodelle f�r Druckdienstleister

Wenn alle Nischen besetzt sind, sind Ideen gefragt, die auch mal den Rahmen der eigenen Branche sprengen: Wie man vom Grossformat­drucker zum Ladenbauer mit Schreinerei wird.

Thomas Riebel Die Margen für Standardprodukte im Grossformatdruck wie Banner, Mesh, Blachen usw. sind immer noch im Sinkflug. Grund dafür sind die steigenden Importe aus Europa, vor allem aber die immense Anzahl von Systemen, die von den Herstellern und Händlern in der Schweiz platziert wurden und immer noch platziert werden.

Die Dichte der schnellen UV-Drucksysteme mit einer Leistung von über 300 Quadratmetern pro Stunde sucht ihresgleichen in Europa. Vergleicht man die Bevölkerungsdichte von Deutschland und der Schweiz, müssten in Deutschland mindestens 80 Highend-Flachbettdrucker der beschriebenen Leistungsstärke stehen. In diesem riesigen Markt sind gerade mal 30 solche Systeme installiert. Wenn man berücksichtigt, dass nur eine minime Menge aus der Schweiz exportiert wird, dann ist unschwer zu erkennen, dass hierzulande bereits gewaltige Über­kapazitäten aufgebaut wurden.

Kartonmöbel im Trend

In diesem Markt herrschen Verhältnisse wie im Offsetdruck, die Vermarktungsmethoden gleichen sich an, wodurch sich immer mehr Anbieter in denselben Nischen tummeln. Wenn nun selbst die Nischen gut besetzt sind, gilt es, sich auf die Suche nach wirklich neuen Geschäftsmodellen zu machen. Innovation setzt aber auch immer eine gewisse Risikobereitschaft voraus. Um sich dem Kreislauf der Austauschbarkeit zu entziehen und den Risikoanteil trotzdem kalkulieren zu können, ist es zwingend notwendig, die Leistungsfähigkeit der bestehenden Hard- und Software genau zu kennen, sich auf die Suche nach aussergewöhnlichen Materialien zu machen, die Bedürfnisse der Kunden etwas genauer anzusehen und, wo notwendig, auch in zusätzliche Hard- und Software investieren zu können. Darauf aufbauend kann man den Kunden individuelle Lösung bieten und sich selbst in eine Richtung entwickeln, die im Voraus schwer absehbar gewesen wäre.

Heute ist jeder Druckdienstleister, der ein UV-Flachbettsystem und einen Flachbettcutter oder -fräser besitzt, ein potenzieller Möbelhersteller. Wabenkarton verkauft mittlerweile fast jeder Materiallieferant, und Schnittmuster sind bei jedem Cutterhersteller im Programm.

Dass alles dann doch nicht so einfach ist, erkennt man schnell, wenn man sich etwas tiefer mit den Produkten und den Herstellungsschritten befasst. ComRo Rohner AG aus Rothenburg hat sich in den letzten 20 Jahren zum Full-Service-Druckdienstleister entwickelt und ist in der Zwischenzeit auch Innenausstatter mit angegliederter Schreinerei geworden. Selbstverständlich werden im Grossformatdruck auch noch die klassischen Produkte wie Blachen, Banner, Mesh und Textilien hergestellt.

Komplettlösung als Starthilfe

Alles hat vor 20 Jahren mit einem HP DJ650C begonnen, welcher damals technische Pläne druckte und Matrixdrucker ersetzte. Vor 10 Jahren dann begann die ComRo mit dem Bedrucken von Well- und Vollkarton. Damit konnten Verpackungen oder Displays kreiert und hergestellt werden. Um den Kunden den Einstieg in dieses zukunftsträchtige Marktsegment zu erleichtern, war es insbesondere bei Verpackungen notwendig, auch den vorgelagerten Prozess der Kreation abzudecken und den Kunden dahingehend zu unterstützen. Dazu wurden die am Markt tätigen Softwarehersteller evaluiert und kontaktiert.

Die Firma Esko hatte bereits damals erkannt, dass eine Komplettlösung von Design und Visualisierung hilft, den Herstellungsprozess zu rationalisieren und damit viel Zeit einzusparen. 2007 übernahm Esko die Artwork Systems Group und firmierte als Esko Artwork. Neben dem Konstruktionsdesign für Kartonagen und Displays können alle Endprodukte neu auch in 3D simuliert werden. Zwischenzeitlich ist die Lösung von Esko das führende Programm in der Verpackungswelt. Packaging-Design, Packaging-Prepress, Brand-Management und Digital-Finishing sind Angebote, die Esko den Druckdienstleistern und den Endkunden heute zur Verfügung stellen kann.

Mit der Designsoftware und einem Kongsbergcutter von Esko sowie einer Spyder-Flachbettmaschine von Inca waren bei der ComRo Rohner AG die Grundlagen gelegt, um Verpackungen und Displays professionell herzustellen. Der Kunde genehmigte die Entwürfe, bekam ein Eins-zu-eins-Muster, danach konnte mit grosser Sicherheit die Produktion in Angriff genommen werden. 2009 wurde eine HP Scitex CoreJet für den Wellpappen- und Vollkartonbereich in Betrieb genommen, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden.

Ohne Optimierung geht es nicht

Bereits 2007 wurden die ersten Wa­­benkartonmaterialien auf der FESPA vorgestellt. Der Wabenkarton ist aufgrund seiner Stabilität und seines ge­ringen Gewichts für den Messe- und Ladenbau gut geeignet. Ein weiterer Vorteil der Wabenkartonmöbel ist der einfache Aufbau vor Ort, was im Messebau besonders wichtig ist. Zu diesem Zeitpunkt war das Bedrucken und Verarbeiten des Wabenkartonmaterials noch nicht so einfach wie heute, da es damals noch an wichtigem Zubehör wie Kantenbändern, Befestigungselementen und Montagezubehör mangelte.

Die Kunden verglichen zu jener Zeit die Wabenkartonmöbel mangels Alternativen oft mit Exponaten aus dem Ladenbau, welche in der Regel aus Holz hergestellt wurden. Dies liess Konstruktionen aus Wabenkarton meist schlecht aussehen. Das Material musste also bezüglich Stabilität weiter optimiert werden. Damit Wabenkarton problemlos mit UV-Grossformatdruckern bedruckt werden konnte, waren weitere Modifikationen notwendig. Wabenkarton hat beispielsweise die Eigenschaft, sich unter UV-Lampen zu erhitzen und danach zu wölben, was zur Folge hatte, dass die Druckköpfe am Material streiften und dadurch beschädigt werden konnten. Deshalb wurde zu jenem Zeitpunkt darauf verzichtet, das Thema Wabenkarton zu forcieren, ohne es jedoch aufzugeben – Innovationen brauchen eben Zeit, um sich durchzusetzen.

Erfolgreicher Einstieg

2012 bekam Silvan Rohner, der Inhaber der ComRo, die Gelegenheit, die Produktion von Wabenkarton bei Stora Enso zu besichtigen. Durch die Möglichkeit, mit den Entwicklern des Produkts zu sprechen, zu sehen wie Reboard (der Handelsname des von Stora Enso hergestellten Materials) gefertigt wurde und welche Stärken und Schwächen dieses Produkt hat, war die Basis für weitere Überlegungen geschaffen. Ein weiterer Meilenstein war der Besuch des grössten Anwenders von Wabenkarton in Schweden. Damit wurde der Grundstein gelegt, dieses vielfältige Material mit grosser Zuversicht für den Messe-, Laden- und Möbelbau einsetzen zu können.

Mit CAD-Software werden individualisierte Displays, Bänke, Stühle, Tische, Regale usw. designt und sofort visualisiert, vorerst ohne zu drucken und zu schneiden. Dies spart für alle Beteiligten Zeit und Geld und verkürzt die Produktionszeit. Nach der Freigabe des digitalen Musters durch den Kunden wird das Originalmuster produziert. Die Mustermacherei ist in die Produktion integriert und die Muster werden mit denselben Produktionsmitteln wie die spätere Auflage produziert. Nach dem Drucken und Schneiden sind meist noch weitere Arbeitsschritte notwendig, um das Produkt zu veredeln – Verbindungsstücke, Kantenabdeckungen oder individuell hergestellte Haken und sonstige Verbindungen müssen noch angebracht werden. Dies kann manuell geschehen oder industriell mit Fräs-, Biege- und Abkantmaschinen. Dafür waren Zusatzinvestitionen in nicht branchenübliche Hardware zu tätigen.

Die Produkte aus Wabenkarton können in einer Premium- oder einer Budget-Variante produziert werden. Die Budget-Variante ist vor allem für Einmal-Anwendungen oder für preissensitive Kunden ein Vorteil. Um die steigende Nachfrage befriedigen zu können, wurde zwischenzeitlich in ein Grossformatdrucksystem von Durst investiert, welches speziell für den Wellpappenmarkt entwickelt wurde.

Der Weg zum Ladenbauer und Schreiner

Der Weg zum Ladenbauer mit Schreinerei begann für Silvan Rohner bereits in der Schulzeit, als er sich während der Schulferien bei der Ineichen AG (diese vertreibt in der Schweiz Maschinen zur Holz- und Kunststoffverarbeitung) etwas Taschengeld dazuverdiente – die Ferienarbeit beim Götti hat also Ihre Früchte getragen.

Um das Projekt Ladenbau mit Holz in Angriff nehmen zu können, wurde als Erstes eine umfassende Marktanalyse mit einem detaillierten Anforderungskatalog erarbeitet. Danach galt es, sich mit den Normen der Möbelindustrie auseinanderzusetzen. Es mussten Arbeitsschritte und -methoden definiert werden, um beispielsweise die Normen für Kratzfestigkeit erfüllen zu können. Erst dann konnten die beiden Kompetenzen Gestaltung/Druck und Herstellung von Möbelkomponenten zusammengebracht werden.

Die ersten Versuche, Holz zu bedrucken, waren erfolgreich und bestanden auch die Vorgaben der DIN-Norm der Holzindustrie. Zusammen mit der Ineichen AG mussten die speziellen Anforderungen eines Druckdienstleisters an die Weiterverarbeitungsmaschinen definiert und umgesetzt werden. Damit war man nun in der Lage, individuell bedruckte Holzmöbel in Einzelanfertigung herzustellen.

Aufgrund des Platzbedarfs und der unterschiedlichen Umgebungsanforderungen von Schreinerei und Druckerei mussten die räumlichen Gegebenheiten in mehreren Schritten angepasst werden. Mit dem kürzlich bezogenen Neubau in Rothenburg konnten neben einem produktiveren, vollautomatischen Cutter die fünf Achsfräsmaschinen von Ineichen und ein neuer Highend-Flachbettdrucker (Nyala2 von SwissQPrint) in grosszügiger Umgebung neu installiert werden. Im Gegensatz zum handwerklichen Ansatz der traditionellen Ladenbauer oder Schreiner ist ComRo nun in der Lage, individuell in Auflage eins zu produzieren und erst noch kurzfristig auf Änderungswünsche der Kunden einzugehen.

Innovation als Dauerthema

Nach dem frühzeitigen Einstieg, verbunden mit dem Bezahlen des Lehrgelds und den nicht unerheblichen Investitionen in den neuen Betriebszweig, muss die Frage erlaubt sein, ob mit diesen neuen Möglichkeiten auch Geld verdient werden kann, was sich ganz klar mit ja beantworten lässt. Die Neuinvestitionen wie auch der notwendige Umzug wurden nicht vorfinanziert, sondern mit erarbeiteten Mitteln aus dem neuen Betriebszweig bezahlt. Die Entwicklung weg von den Standardprodukten hin zu Produkten mit hoher Wertschöpfung blieb nicht nur beim guten Vorsatz, sondern wurde konsequent geplant und umgesetzt.

Die Erhöhung der Wertschöpfung ist selbstredend mit einem Investitionsaufwand verbunden, welcher mit der Anschaffung der Hardware nicht endet. Gut ausgebildete Mitarbeiter in allen Bereichen des Unternehmens haben wesentlichen Anteil am Erfolg von ComRo. In rund 20 Jahren hat sich ComRo vom einfachen Druckdienstleister zum Dienstleister für Werbung im Aussen- und Innenbereich entwickelt. Ein Ende der Reise ist noch nicht abzusehen, die nächsten Projekte sind schon in der Pipeline, unter anderen XXL-Leuchtkästen aus Holz, welche vor allem im Hotelbereich für einen Wow-Effekt sorgen sollen.

Um die Kundenbasis zu erweitern und auch privaten Kunden die neuen Möglichkeit zu bieten, wurde bereits 2010 die Online-Tochter der ComRo Rohner AG, die digitaldruckshop.ch, gegründet. Die vorgegebene Produktpalette kann im Webshop zu kostengünstigeren Preisen angeboten werden, da der Kunde von der Auftragserfassung über die Gestaltung bis hin zum Gut zum Druck und zur Bezahlung alles selbst erledigt, und zwar ohne grafische Kenntnisse und mit wenigen Klicks.

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